Deutscher Bund und innere Nationsbildung im Vormärz (1815–1848)

Termin: 10. Oktober 2017

Ort: Historisches Kolleg, Kaulbachstraße 15, 80539 München

Eine Veranstaltung der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und dem Exzellenzcluster „Normative Ordnungen“.

Der 1815 gegründete Deutsche Bund bildete bis 1866 den föderativen Rahmen deutscher Staatlichkeit. Er verstand sich dabei nicht nur als eine Allianz zur Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit der in ihm vereinten Staaten, sondern auch als ein „nationales Band“. Als solches nahm der Deutsche Bund selbst für sich in Anspruch, als Organ der inneren Nationsbildung in Deutschland tätig zu werden, womit er auf die vielfältigen gesellschaftlichen Erwartungen reagierte, die an ihn herangetragen wurden. Konkrete Handlungsfelder einer Politik des „nation building“ waren die Handels- und Zollpolitik, die Harmonisierung der Gesetzgebung in Deutschland sowie auch kulturnationale Initiativen. Bei der praktischen Umsetzung dieser Vorhaben entwickelten sich die zahlreichen Kommissionen des Deutschen Bundes zu Foren von komplexen Aushandlungsprozessen zwischen Bürokratie und Gesellschaft. Des Weiteren kam es zur Entwicklung überstaatlicher Expertenkulturen, in denen sich einerseits Fachwissen akkumulierte, das im Zuge der inneren Nationsbildung auch über das Ende des Deutschen Bundes hinaus intensiv genutzt wurde. Andererseits bildeten die Experten ein die deutschen Einzelstaaten transzendierendes Netzwerk, von dem vielfältige Impulse für die nationale Integration ausgingen. Die Tagung verfolgt das Ziel, das nationsbildende Potential des Deutschen Bundes auszuloten und ihn damit als politischen Akteur in einer sich rasch wandelnden Gesellschaft neu zu verorten.

Programm:
9.30 UhrBegrüßungProf. Dr. Gerrit Walther / Wuppertal
9.45 UhrDer Deutsche Bund als nationales Band. Anspruch und RealitätProf. Dr. Jürgen Müller / Frankfurt am Main
10.15 UhrDer Deutsche Bund als föderative Ordnung in der Mitte Europas: Möglichkeiten und Chancen aus der Perspektive von 1814/15Prof. Dr. Reinhard Stauber / Klagenfurt
11.00 UhrDie Kommissionen des Deutschen Bundes und ihre Tätigkeit in den Jahren 1816–1823Dr. Eckhardt Treichel / Frankfurt am Main
14.00 UhrDie Kommissionen des Deutschen Bundes als Foren von Aushandlungsprozessen zwischen Bürokratie und Gesellschaft (1816–1848)Dr. Marko Kreutzmann / Jena
14.45 UhrKulturelle Nationsbildung im Deutschen Bund: Das Weimarer Goethehaus als NationalmuseumDr. Paul Kahl / Göttingen
16.00 UhrZwischenstaatliche Wissenschaftskommunikation und Wissenschafts-politik im Deutschen Bund 1815–1848Dr. Andreas Hofmann / München
19.00 UhrInnere Nationsbildung im 19. Jahrhundert. Der Deutsche Bund im internationalen Vergleich (öffentlicher Abendvortrag)Prof. Dr. Andreas Fahrmeir / Frankfurt am Main

Tagungsbericht  (⇒ Tagungsbericht zum Download)

Am 10. Oktober 2017 fand im Historischen Kolleg in München eine wissenschaftliche Tagung zum Thema „Deutscher Bund und innere Nationsbildung im Vormärz (1815—1848)“ statt. Die Veranstaltung wurde organisiert von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und dem Exzellenzcluster „Die Herausbildung Normativer Ordnungen“.

Die Tagung verfolgte das Ziel, das nationsbildende Potential des Deutschen Bundes auszuloten und ihn als politischen Akteur in einer sich rasch wandelnden Gesellschaft neu zu verorten. Sie griff damit eine Fragestellung auf, die auch in dem Forschungsprojekt „Gesellschaftliche Erwartungen und bürokratische Experten: Die Kommissionen und Ausschüsse des Deutschen Bundes als Foren politischer Aushandlungsprozesse (1816–1848)“ untersucht wird. Dieses Projekt wird seit 2016 mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unter der Leitung von Jürgen Müller (Historische Kommission / Goethe-Universität Frankfurt am Main) durchgeführt.

An der Tagung nahmen neben den Referenten eine Reihe von einschlägig ausgewiesenen Wissenschaftler/innen teil: Zu nennen sind unter anderen Sabine Freitag (Universität Bamberg), Karl-Ulrich Gelberg (Geschäftsführer der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften), Wolf D. Gruner (Universität Rostock), Hans-Werner Hahn (Universität Jena), Bärbel Holtz (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften), Markus Mößlang (DHI London), Helmut Neuhaus (Sekretär der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften), Andreas Schulz (Parlamentarismuskommission Berlin), Wolfram Siemann (München), Jean-Conrad Tyrichter (MPI Frankfurt am Main) und Gerrit Walther (Präsident der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften).

Jürgen Müller verwies in seinem einleitenden Vortrag auf die bei der Gründung des Bundes und der Konstituierung der Deutschen Bundesversammlung in Frankfurt am Main von den beteiligten Diplomaten vielfach geäußerte Absicht, den Deutschen Bund als „das große Band der Nationalität“ weiterzuentwickeln, um „das Gebäude des großen National-Bundes [zu] vollenden“. Damit wurde eine umfassende und weitreichende Entwicklungsperspektive für den Deutschen Bund skizziert, die ausdrücklich an nationalen Zwecken und Interessen orientiert war. Obgleich der deutsche Staatenbund ausdrücklich kein Bundes- oder Nationalstaat sein wollte, formulierte er gleichwohl einen nationsbildenden Anspruch, der in der Folgezeit bei zahlreichen Fragen, die in der Bundesversammlung sowie in deren Kommissionen und Ausschüssen verhandelt wurden, zum Tragen kam. Das Ziel der Tagung war es, näher zu untersuchen, auf welchen Politikfeldern sich nationsbildende Bestrebungen des Bundes zeigten und wie die entsprechenden Themen konkret verhandelt wurden.

Reinhard Stauber (Universität Klagenfurt) fragte anschließend in seinem Vortrag „Der Deutsche Bund als föderative Ordnung in der Mitte Europas“ nach den Möglichkeiten und Chancen, die sich dem deutschen Staatenbund aus der Perspektive von 1815 boten. Er betonte dabei, dass auf dem Wiener Kongress die Bildung eines lockeren „Staatenvereins“ (Wilhelm von Humboldt), der durch ein „lien fédératif“ zusammengehalten wurde, als die einzige realistische Möglichkeit erschien, Deutschland politisch zu organisieren. Andere Konzepte, wie die zunächst von Preußen und Österreich ins Spiel gebrachte Variante einer hegemonialen Ordnung unter Führung der beiden Großmächte in Verbindung mit den Königreichen Bayern, Württemberg und Hannover scheiterten sowohl am Widerstand der meisten deutschen Mittel- und Kleinstaaten als auch am aufbrechenden machtpolitischen Konflikt zwischen Österreich und Preußen. Vor dem Hintergrund der realen politischen Verhältnisse hatte die etwa vom Freiherrn vom Stein verfochtene Idee einer Wiederherstellung des deutschen Kaisertums keine Chance. Ein Nationalstaat, wie er später gefordert wurde, war ebenfalls keine realistische Option. Die Begriffe „Nation“ und „Nationalität“ waren noch ambivalent und bezogen sich nicht eindeutig auf den modernen Nationalstaat. Sie dienten einerseits als Bezeichnung für eine Sprach- und Kulturgemeinschaft, konnten andererseits aber auch auf den Einzelstaat bezogen werden.

Diskussion: Es wurde daran erinnert, dass die Verhandlungen von 1815 unter großem äußeren Druck standen, insbesondere nach der Rückkehr Napoleons von Elba. In der militärisch heiklen Situation hätten die Mittelstaaten als Geldgeber und Koalitionspartner gewonnen werden müssen. Dieser Druck schränkte die Verhandlungsspielräume ein. Unter dem Druck der Ereignisse, so wurde hervorgehoben, sei es vielmehr erstaunlich, dass mit dem Deutschen Bund überhaupt eine Lösung aus den Verhandlungen herausgekommen sei. Des Weiteren wurde betont, dass die europäischen Mächte an einem Gleichgewicht interessiert gewesen seien und deshalb die Herstellung bzw. Bewahrung kleiner Staaten (Niederlande, Schweiz) befürworteten und auf eine politische Balance in Mitteleuropa abzielten. Der Deutsche Bund erfüllte in dieser Hinsicht eine wichtige Funktion bei der Friedenssicherung in Europa. Schließlich wurde auf Defizite und potentielle Bruchstellen im Deutschen Bund hingewiesen. Zum einen habe es der Bund versäumt, so Hans-Werner Hahn, eine nationale Symbolpolitik zu betreiben, die ihm ein höheres Ansehen in der deutschen Öffentlichkeit hätte verschaffen können. Zum anderen sei es schon 1818 zu Konflikten zwischen Österreich und Preußen in der Bundesmilitärkommission gekommen, die das innere Klima belasteten, so Wolfram Siemann.

Marko Kreutzmann (Historische Kommission München), der im genannten DFG-Projekt erstmals das Kommissions- und Ausschusswesen des Deutschen Bundes im gesamten Vormärz untersucht, stellte in seinem Vortrag die Kommissionen des Deutschen Bundes „als Foren von Aushandlungsprozessen zwischen Bürokratie und Gesellschaft“ vor. Die Erwartungen der Öffentlichkeit seien zum Maßstab des politischen Handelns der Bundesversammlung erklärt und mit einer nationalen Sinnzuschreibung versehen worden. Die Bundesversammlung sei ein Forum gewesen, in dem gesellschaftliche Erwartungen und staatlich-büro­kra­tische Gestaltungsansprüche durch gegenseitige Wahrnehmungen, Deutungen und Sinnzuweisungen in einen vielschichtigen kommunikativen Austausch traten. Die Bundesversammlung war damit Teil jener sich verdichtenden sozialen Kommunikationsprozesse, die Karl W. Deutsch bereits 1953 als grundlegend für die Nationsbildung beschrieben hat und die dazu beitrugen, dass sich die Nation als eine „vorgestellte Gemeinschaft“ (Benedict Anderson) konstituieren konnte. Nicht allein die Ergebnisse der Bundestagsverhandlungen in Gestalt von Verfassungsnormen oder Gesetzestexten gelte es daher zu untersuchen, sondern auch die Strukturen jener Kommunikations- und Aushandlungsprozesse und deren Auswirkungen auf die nationale Identitätsbildung. Das zentrale Forum dieser Prozesse seien die Kommissionen und Ausschüsse der Bundesversammlung gewesen. Unmittelbar und massiv herangetragen wurden die gesellschaftlichen Erwartungen an die Bundesversammlung durch zahlreiche Eingaben von Privatpersonen, Korporationen oder Vereinen. Bis 1848 erreichten sie rund 2600 Gesuche. Marko Kreutzmann gab im Weiteren einen kurzen Überblick über deren Art und ging auf einige Fälle näher ein. Er gelangte zu der Schlussfolgerung, dass die Kommissionen der Deutschen Bundesversammlung eine wichtige Rolle im soziokulturellen Prozess der Nationsbildung spielten. Sie seien Kristallisationspunkte einer Funktionselite und Knotenpunkte eines Netzwerkes gewesen, das keineswegs nur als Instrument der Regierungen agierte, sondern eigene Interessen und Handlungslogiken entwickelte und zum Adressaten gesellschaftlicher Erwartungen und zum Forum von Aushandlungsprozessen zwischen Bürokratie und Gesellschaft wurde.

Diskussion: Von Andreas Schulz wurde kritisch eingewendet, dass es zu weit gehe, in der Tätigkeit der Ausschüsse und Kommissionen einen Aushandlungsprozess zwischen Bürokratie und Gesellschaft zu sehen, denn dies würde ja eine Symmetrie voraussetzen, die so nicht bestanden habe. Gesellschaftliche Gruppierungen und Vereinsbewegungen hätten den Anspruch auf Partizipation erhoben, die ihnen aber gerade verweigert worden sei. Marko Kreutzmann erwiderte, dass die Eingaben an die Bundesversammlung zwar nicht immer zum Erfolg geführt hätten, doch habe es zahlreiche Interaktionen zwischen Bundesbürokratie und Gesellschaft gegeben. Vor Ort, das heißt am Sitz der Bundesversammlung in Frankfurt, sei versucht worden, bestimmte Interessen durchzusetzen, weil die Bundesversammlung als eine Institution wahrgenommen worden sei, die über die einzelstaatlichen Interessen hinausgehende Belange vertrete. Dabei sei, wie Jürgen Müller bemerkte, gewiss einzuräumen, dass es auf Bundesebene nie gelang, ein wirkliches Parlament zu bilden. Gleichwohl waren die Bundesversammlung und ihre Kommissionen ein Ort der Kommunikation und Aushandlung, was bisher so nicht wahrgenommen worden sei. Marko Kreutzmann führte weiter aus, dass die Art der Verhandlungsführung es prinzipiell erlaubte, schnell zu Ergebnissen zu gelangen; die Verzögerungen hätten eher an den Blockaden einzelstaatlicher Souveräne gelegen als an der Organisation der Bundesversammlung selbst. Gefragt wurde auch nach der Art der an den Bund gerichteten Eingaben: Waren es eher Handels- und Wirtschaftsfragen als verfassungsrechtliche und politische Themen? Wie viele Anfragen zu technisch-wirtschaftlichen Problemen gab es? Spiegelt es sich in Anfragen wider, dass man die Bundesversammlung als verfassungsrechtlichen Garanten ansah? Marko Kreutzmann führte konkrete Zahlen und Beispiele an und resümierte, dass sich in der Behandlung der Eingaben der eigene Anspruch der Bundesversammlung zeigte, eine  Instanz der Rechtssicherheit zu sein. Man könne zudem an der Kommissionsarbeit eine hohe Sensibilität für den gesellschaftlichen und technologischen Wandel erkennen, dem man auch Rechnung tragen wollte. Es habe indessen an personalen Ressourcen gemangelt, weil sich nur relativ wenige Kommissionsmitglieder in Frankfurt in zahlreiche komplizierte rechtliche Sachverhalte einarbeiten mussten.

Eckhardt Treichel (Universität Frankfurt am Main) gab in seinem Vortrag „Die Kommissionen des Deutschen Bundes und ihre Tätigkeit in den Jahren 1816–1823“ einen Überblick über die Bildung und Zusammensetzung der Bundeskommissionen sowie die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit. In den ersten vier Jahren (1816–1820) seien insgesamt 54 Kommissionen gebildet worden, von denen sich 15 mit der Verfassung, Organisation und den Kompetenzen des Deutschen Bundes beschäftigt hätten. Zwölf Kommissionen widmeten sich den Rechten einzelner Personen, Korporationen oder Bevölkerungsgruppen, zehn Kommissionen den beim Bundestag in großer Zahl eingehenden Eingaben und Reklamationen, neun Kommissionen verhandelten Fragen von Handel und Verkehr, Freiheits- und Bürgerrechten, und acht Kommissionen wurden zur Vermittlung von Rechtsstreitigkeiten zwischen den Bundesstaaten eingesetzt. Zwischen 1821 und 1823 wurden 14 weitere Kommissionen gebildet, so dass sich für die ersten sieben Jahre des Bundes 68 Kommissionen ergeben. Zwei Drittel dieser Kommissionen konnten ihre Aufgabe binnen eines halben Jahres erledigen − ein Befund, der das Klischee vom langsamen und schwerfälligen Bundestag relativiert. Eine Sonderstellung nahm von Anfang an die sogenannte Reklamations- oder Eingabenkommission ein, die unmittelbar nach der Konstituierung des Bundestags gebildet wurde. Ihre Einrichtung war notwendig geworden, weil nach der Konstituierung der Bundesversammlung eine Fülle von Eingaben und Beschwerden eingingen. Da sich die Bundesversammlung als nationale Appellationsinstanz verstand und „jedem Deutschen der Weg an die Bundesversammlung jederzeit offen stehen“ sollte, gehörte die Bearbeitung dieser Eingaben und Beschwerden von Privatpersonen, Korporationen und gesellschaftlichen Gruppen zu den Kernaufgaben des Bundestags. Im Hinblick auf die personelle Zusammensetzung der Kommissionen ist zu bemerken, dass sich meist nur 16 bis 20 Bundestagsgesandte in Frankfurt aufhielten, auf deren Schultern im Wesentlichen die Arbeitslast der Bundesversammlung und ihrer Kommissionen ruhte. Ein noch kleinerer Kreis von acht Bundestagsgesandten bildete den inneren Führungszirkel: Auf diesen entfielen 178 der 219 Kommissionsplätze (81,3 Prozent). Dieser Personenkreis war es vor allem, der unter Betonung des föderativen und nationalen Charakters des Deutschen Bundes die „staatsrechtlichen Elemente der Bundesverfassung“ weiterentwickeln wollte.

Diskussion: Zu den Ausführungen wurde von Helmut Neuhaus grundsätzlich angemerkt, dass man den Deutschen Bund nicht verstehen könne, wenn man nicht das Alte Reich im Hinterkopf habe. Das Ausschusswesen sei nichts Neues und Modernes gewesen, sondern habe sich seit dem 15. Jahrhundert im Reich entwickelt. Letztlich sei ja das Heilige Römische Reich mit einem Ausschussbeschluss, dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803, zu Ende gegangen. Jana Osterkamp fragte nach dem in den Quellen immer wieder auftauchenden Begriff der „organischen Einrichtungen“ des Bundes und inwieweit sich damit bestimmte politiktheoretische Konzepte verbanden. Eckhardt Treichel erwiderte, dass dieser Begriff nur als Bezeichnung für dauerhafte Einrichtungen, mit denen der Bund seine Zwecke verfolgte, zu verstehen sei. Die Diskussion kreiste im Weiteren um die Auswahl und Qualifikation der Kommissions- und Ausschussmitglieder. Eckhardt Treichel wies darauf hin, dass in den ersten Jahren die Ausschussarbeit von wenigen Personen geleistet wurde, was zum Teil mit der Verfügbarkeit und Abkömmlichkeit der Bundesgesandten zu erklären sei, zum Teil aber auch daran lag, dass einige von ihnen aus persönlichen Gründen nicht geeignet erschienen. Es habe in den Ausschüssen ein ausgewogenes Verhältnis von Großstaaten, Mittelstaaten und Kleinstaaten gegeben. Gefragt wurde ferner danach, welche Rolle die Kommissionsmitglieder in der öffentlichen Berichterstattung und in der öffentlichen Meinung jenseits von Bundestagsprotokollen spielten. Eckhardt Treichel antwortete, dass dieser Aspekt noch einer näheren, zeitaufwändigen Untersuchung bedürfe, bei der auch die einzelstaatliche Überlieferung herangezogen werden müsse. In dieser Frage stecke Potential für weitere Forschungen.

Paul Kahl (Universität Göttingen) widmete sich der kulturellen Nationsbildung im Deutschen Bund und führte aus, wie in den Jahren 1842/43 die deutsche Bundesversammlung – auf Initiative des Königs von Preußen – den Beschluss fasste, das Weimarer Goethehaus anzukaufen und es zu einem Nationalmuseum zu machen. Anlass waren die in der Öffentlichkeit immer lauter werdenden Forderungen, das ehemalige Wohnhaus Goethes als ein Denkmal der deutschen Kulturnation allgemein zugänglich zu machen und eine Zerschlagung und den Verkauf der Sammlungen ins Ausland zu verhindern. Dabei sei Goethe, der als Fürstendichter galt, zu dieser Zeit weniger populär gewesen als etwa Friedrich Schiller. Mit der Umwandlung des Goethehauses in ein Nationalmuseum wäre ein kulturpolitisches Novum gelungen. Die Ausführung dieses Vorhabens scheiterte letztendlich nicht am Deutschen Bund oder einzelnen Regierungen, sondern an der Weigerung der Erben Goethes, dem Verkauf zuzustimmen, obwohl der gebotene Kaufpreis mehrfach erhöht worden sei. Ein solches Nationalmuseum unter der Trägerschaft des Deutschen Bundes hätte eine erhebliche Ausstrahlung im sich während der 1840er Jahre stark entwickelnden nationalen Resonanzraum gehabt. Das Beispiel zeigt, wie eine kulturnationale Politik auf Bundesebene hätte gestaltet werden können.

Diskussion: Von Bärbel Holtz wurde angemerkt, dass es im Vormärz noch keine Kulturpolitik im engeren Sinne gegeben habe. Diese habe sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert ausgebildet. Im Hinblick auf das geplante Nationalmuseum in Weimar sei es bezeichnend, dass ein Fürst die Gründung forciert habe. Daran anschließend wurde die Frage gestellt, wann im Deutschen Bund eine kulturpolitische Öffentlichkeitarbeit begonnen habe, die es zuvor noch nicht gegeben habe. Jürgen Müller antwortete darauf, dass es genau die frühen 1840er Jahre gewesen seien, in denen dieser Prozess einer kulturpolitischen Öffentlichkeitsarbeit eingeleitet worden sei, wie das Projekt des Nationalmuseums zeige, und schloss daran die Frage an, wie die Presse und die Öffentlichkeit auf den Plan des Weimarer Nationalmuseums reagiert hätten. Paul Kahl führte aus, dass eine Wahrnehmung in der Presse stattfand, unter anderem in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, wobei der Enttäuschung darüber Ausdruck gegeben wurde, dass das Goethehaus bislang nicht besichtigt werden konnte. Die Aussage von Bärbel Holtz (und Paul Kahl), bei dem Weimarer Projekt hätten die Fürsten die Initiative ergriffen, relativierte Andreas Schulz und erklärte, sie seien eher in „reaktionärer“ Intention auf eine Begeisterungswelle aufgesprungen, die durch die Rheinkrise ausgelöst worden war.

Abschließend skizzierte Andreas Hofmann (München) die „zwischenstaatliche Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftspolitik im Deutschen Bund“ in der Zeit von 1815 bis 1848. Jenseits der staatlichen oder vom Bund ausgehenden Zensurmaßnahmen, mit denen auch zwei von der Bundesversammlung eingesetzte Universitätskommissionen befasst waren (1819 und 1831), gab es zahlreiche Kontakte und Kooperationen, die teilweise direkt zwischen Universitäten aus verschiedenen Einzelstaaten gepflegt wurden. Dazu gehörten der institutionalisierte Austausch von akademischen Schriften sowie die sogenannten Universitätskartelle, welche Informationen über Studenten austauschten. Diese Ebene der Vernetzung im Gebiet des Deutschen Bundes ist bislang in der Forschung kaum wahrgenommen, geschweige denn intensiver untersucht worden. Die Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftspolitik innerhalb des Deutschen Bundes vollzog sich somit auf mehreren Ebenen, die miteinander verknüpft waren: Die suprastaatliche Ebene bei der Bundesversammlung in Frankfurt, die transnationale Zusammenarbeit und das einzelstaatliche Handeln bildeten in ihrer Interaktion ein unauflösliches Dreieck aus Bundesinnenpolitik, Bundesnationalpolitik und Bundesverfassungspolitik.

Diskussion: Es wurde danach gefragt, inwieweit der von den Universitäten betriebene Austausch von Studentendaten (bei Verfehlungen) das studentische Leben beeinflusst habe. Habe es sich dabei nicht um eine strenge Repressalie gehandelt? Andreas Hofmann antwortete, dass das Register über die studentischen Verfehlungen bzw. Strafen in der Tat das studentische Leben sehr stark bestimmt habe. Im Hinblick auf die universitären Austauschvereine fragte Sabine Freitag nach den wissenschaftlichen Disziplinen bzw. Fakultäten, um die es dabei gegangen sei. Nach Andreas Hofmann waren die Austauschvereine nicht auf eine bestimmte Fakultät konzentriert, sondern umfassten den Austausch von Belegexemplaren aller Disziplinen. Die benutzten Begriffe seien zuweilen missverständlich, denn es sei manchmal die Rede von „literarischen“ Austauschvereinen, während man später von „akademischen“ Austauschvereinen spreche. Marko Kreutzmann fragte, inwieweit der literarische Austausch auch als ein eigener Beitrag zur kulturellen Nationsbildung verstanden wurde, worauf Herr Hofmann erwiderte, dass er dafür nur wenige Belege gefunden habe. Ferner wurde gefragt, ob die Universitätsarchive bei der Erforschung der Wissenschaftspolitik im Deutschen Bund eine besondere Rolle spielten. Herr Hofmann antwortete, dass in den Universitätsarchiven meist nur die wechselseitigen Anzeigen des Austauschs von Schriften vorhanden seien. Im Marburger Universitätsarchiv gebe es allerdings einen größeren Bestand zu dem Thema, der noch der Auswertung harre. Andreas Fahrmeir fragte, ob es neben dem Austausch von Schriften und Informationen über Studenten auch einen Austausch von weiteren akademischen Nachrichten, etwa über Berufungen gegeben habe. Dazu konnte Andreas Hofmann keine näheren Angaben machen, weil diese Frage nicht im Fokus seiner Forschungen stand. Schließlich wurde auf die Besonderheit hingewiesen, dass Österreich am universitären Austauschsystem nicht beteiligt gewesen sei. Andreas Hofmann erklärte dies damit, dass ein solcher Austausch in Österreich unerwünscht und dass die Repressionen gegen Studenten in der Habsburgermonarchie strikter gewesen seien als in anderen deutschen Staaten. Immerhin gab es, wie Andreas Hofmann auf eine Nachfrage von Wolfram Siemann ausführte, prinzipiell die Möglichkeit, aus anderen Staaten des Deutschen Bundes zum Studium nach Wien zu gehen.

Zum Ausklang der Tagung beleuchtete Andreas Fahrmeir (Universität Frankfurt am Main) in einem öffentlichen Abendvortrag in der Kaulbach-Villa die innere Nationsbildung im internationalen Vergleich, wobei er erhellende Parallelen zwischen dem Deutschen Bund und anderen föderativen Ordnungen in Europa, aber auch in Übersee (USA und Kanada) zog. Vor diesem Hintergrund erscheint der Deutsche Bund nicht mehr in dem Maße als Anomalie, wie dies in der älteren, aber auch von Teilen der jüngeren Forschung wegen seiner angeblichen nationalpolitischen Defizite konstatiert worden ist.

Insgesamt lieferten die Vorträge zum Teil überraschende Einblicke in die inneren Mechanismen des Deutschen Bundes, die weitverzweigte und teilweise intensive Tätigkeit seiner Ausschüsse und Kommissionen und das bei vielen an die Bundesversammlung herangetragenen Gegenständen erkennbare Bemühen, zu sachgerechten Lösungen zu gelangen. Deutlich wurde in den Vorträgen von Eckhardt Treichel und Marko Kreutzmann, dass sich schon in den ersten Jahren des Bundes Gruppen von Experten bildeten, die sich einer Vielzahl von Themen widmeten, bei denen ein individueller, gruppenspezifischer oder gar nationaler Regelbedarf postuliert wurde. Diese Expertengruppen waren die Keimzelle der sich im späteren Vormärz und dann insbesondere nach 1850 herausbildenden umfangreicheren und weiträumigeren Expertennetzwerke auf Bundesebene. Im Rahmen des erwähnten DFG-Projekts hat Marko Kreutzmann diese sich in den Kommissionen und Ausschüssen sammelnden Expertengruppen quantitativ und prosopographisch bereits vollständig erfasst. In einem weiteren Untersuchungsschritt sollen ihre Tätigkeit im Hinblick auf die wichtigen Gegenstände näher untersucht und dabei auch deren Erfolge genauer erfasst werden, ein Aspekt, der in der bisherigen Forschung vernachlässigt wurde, weil man sich vorwiegend auf die nationalpolitischen Defizite im Zeichen der Repressionspolitik konzentrierte. In diesem Zusammenhang wird es auch weiter zu analysieren sein, welche gesellschaftlichen Erwartungen sich konkret an den Bund beziehungsweise seine Organe richteten und wie von Bundesseite damit umgegangen wurde. Hier werden neben den Verwaltungsakten des Bundes und seiner Gremien auch die öffentlichen Verlautbarungen in der Presse, der Publizistik und den einzelstaatlichen Parlamenten heranzuziehen sein. Zu welch interessanten Einblicken dies führen kann, haben die Vorträge von Paul Kahl über das Goethehaus in Weimar und von Andreas Hofmann über die Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftspolitik im Deutschen Bund gezeigt.

Die Tagungsbeiträge werden demnächst, ergänzt durch weitere Aufsätze zur wirtschaftlichen und rechtlichen Integration im Deutschen Bund, in einem Band in der Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften veröffentlicht.

(Bericht: Jürgen Müller, 17.11.2017)